Die Grundhaltungen der Personenzentrierten Gesprächsthe­rapie

An dieser Stelle scheint es mir angebracht, einmal die tragenden Elemente der Perso­nenzentrierten Ge­sprächstherapie, die für das Verständnis Rogers wichtig sind, und die ich im vorangegangenen Kapitel schon erwähnte, kurz zu erklären:

Kongruenz:

Unter diesem Begriff versteht Rogers (Rogers, C.: Der neue Mensch 1981
vgl. auch Quitmann, H.: Humanistische Psychologie 1996
und Kriz, J.: Grundkonzepte der Psychotherapie 1989) Echtheit, Unverfälschtheit, oder / und Tran­sparenz seitens des Therapeuten.





Hiermit macht Rogers klar, daß es dem Klienten in einer Beziehung nur möglich ist zu wachsen, wenn ihm der Therapeut so gegenübertritt, wie er wirklich ist. Das heißt, er ist in dieser Beziehung, in diesem Moment selbst auch Mensch, kann also auch über seine Gefühle und Einstellungen offen reden und stellt sich nicht als je­manden dar, der etwa nur aufgrund seiner Profession in der Hierarchie weiter oben ange­siedelt ist als der Klient. Der Therapeut muß (und darf) sich also nicht hinter Fassaden, Rollen und Floskeln verstecken, sondern muß sich in die Situation gerade auch emotional einbrin­gen können – eine unmittelbare echte Beziehung von Person zu Person eingehen. Da­bei darf er sich selbst als Person nicht verleugnen, darf keine Ab­wehrhaltungen ein­nehmen und vor allem muß er sich als Helfer seines Gegen­übers verstehen, der aus dieser Beziehung ebenfalls gestärkt und mit neuen Lerner­fahrungen hervorgehen kann.

Diese Transparenz ermöglicht das Vertrauen des Kli­enten, der sich so sei­nem Ge­genüber öffnen kann, um sich so mit dessen Unterstützung und Hilfe zu erfor­schen.

Inkongruenz hingegen, würde dem Klienten sofort auffallen. Tonfall, Mimik, Gestik, also Signale auf verbaler und nonverbaler Ebene würden dem Klienten sofort auffal­len und er würde sich nicht verstanden fühlen und sich demzufolge verschließen.
Dies alles setzt natürlich ein starke Persönlichkeit des Helfenden voraus und auch Ro­gers weiß, daß dies nicht immer einfach ist. Entscheidend für diese Einstellung – nicht Technik – ist al­so allein die menschliche Substanz des Therapeuten. Er muß sich in dieser Beziehung selbst erleben, wahrnehmen und einbringen können.

„Es besteht also eine genaue Übereinstimmung oder Kongruenz zwischen dem körperlichen Empfinden, dem Gewahrsein und den Äußerungen gegenüber dem Klien­ten.“ (s. o. Seite 67)

Empathie:

Unter Empathie versteht man das einfühlende Verstehen, das nichtwertende Einge­hen, also das echte Verständnis einer Person.

Ist der Therapeut in einer Beziehung kongruent, so ermöglicht dies ihm, sich auf den Gegenüber einzulassen und so die Welt mit dessen Augen zu sehen. Er ist also dar­um bemüht, „den Klienten in seinem Erleben (und seinen damit verbundenen Werthal­tungen, Motiven, Wünschen und Ängsten) zu verstehen.“ (Kirr, J.: Grundkonzepte der Psychotherapie 1989; Seite 205)

Was sich hier relativ einfach anhört, ist sowohl in der Praxis, als auch in der wissen­schaftlichen Diskussion, der schwierigste und auch heikelste Aspekt und führte schon zu Lebzeiten Rogers zu heftigen Auseinandersetzungen.

So beschreibt Rogers dieses einfühlsame Verstehen als einen Vorgang im Gespräch, wo der Therapeut „genau die Gefühle und persönlichen Bedeutungen spürt, die der Klient erlebt, und daß er dieses Verstehen dem Klienten mitteilt. Unter optimalen Um­ständen ist der Therapeut so sehr in der privaten Welt des anderen drinnen, daß er oder sie nicht nur die Bedeutung klären kann, deren sich der Patient bewußt ist, son­dern auch jene knapp unterhalb der Bewußtseinsschwelle.“ (Rogers, C.: Der neue Mensch 1981; Seite 68)

Da es sich bei diesem Verstehen aber um das Verstehen des Therapeuten handelt, nicht dem des Klienten, kann es so unter Umständen zu gravierenden Mißverständ­nissen kommen. Denn um einen Klienten richtig verstehen zu können, muß man in der Beziehung zu ihm zuallererst einmal davon ausgehen, daß weder er – und noch weni­ger man selber – seiner gesamten inneren Welt bewußt ist.

Diese innere Welt, bestehend aus Gefühlen, Empfindungen und mit Wertungen ver­bundenen Erfahrungen und Wahrnehmungen, müssen nun auf einem langen Weg der Selbstexploration gemeinsam offengelegt werden. Durch ständiges Feed-Back mit ei­genen Worten ver­sucht der Therapeut hierbei, selektiv (nicht interpretativ) die ge­fühls- und erlebnismäßigen Inhalte aus dem Ge­spräch mit seinem Gegenüber aufzu­greifen und ihm dann mitzuteilen, was er von dessen Erlebniswelt glaubt, verstanden zu ha­ben.

So kann er immer weiter in die Welt des Klienten eintauchen, welcher sich im­mer wei­ter öffnen wird, weil er sich von seinem Gegenüber verstanden fühlt. – Denn er merkt so auch, daß er verstanden werden will.
Es geht also nicht lediglich um ein „spiegeln“, ein „papageien-ähnliches Nachplap­pern“ der Aussagen des Klienten, wie diese Vorgehensweise oft mißinterpretiert wurde.





Vielmehr geht es also darum, sich einfühlend, nicht interpretativ vom hohen Roß ei­nes etwaigen medizinisch-therapeutisch-diagnostischen Standpunktes herab, dem Gegen­über als (neugieriger, aber nicht fordernder) Mensch zu nähern und sich so in dessen innere Welt hineinzuversetzen. Ihn also auch in seiner Welt zu verstehen und zu ak­zeptieren, wie er sie empfindet.

Bedingungslose positive Zuwendung:

Rogers beschreibt diese Grundhaltung als „das Akzeptieren, die Anteilnahme oder Wertschätzung“ (Rogers, C.: Der neue Mensch 1981; Seite 68) des Therapeuten gegenüber den Gefühlen und Äußerungen seines Klienten.

„Wenn der Therapeut eine positive, akzeptierende Einstellung gegenüber dem erlebt, was der Klient in diesem Augenblick ist, dann wird es mit größerer Wahrscheinlich­keit zu therapeutischer Bewegung oder Veränderung kommen. Der Therapeut ist ge­willt, den Patienten sein jeweiliges momentanes Gefühl ausleben zu lassen – Verwir­rung, Groll, Furcht, Zorn, Mut, Liebe und Stolz.“(Rogers, C.: Der neue Mensch 1981; Seite 68)

Dies bedeutet nicht, daß der Therapeut diesen Gefühlen unbedingt zustimmen muß. Es bedeutet aber, daß er seinen Gegenüber ohne Wertung und Vorurteil annimmt, wie er in diesem Moment ist.

Erreichen kann man diese positive Wertschätzung nur, indem man den Gegenüber als ei­genständigen Menschen respektiert, mitsamt seiner Gefühlswelt und den daraus re­sultierenden Handlungen. Man versucht demzufolge auch nicht, dem Gegenüber eige­ne Werte, Meinungen und Empfehlungen aufzuzwingen – auch wenn diese auf den er­sten Blick gut gemeinte Ratschläge zu sein scheinen.

Wichtig ist nämlich, daß sich der Therapeut immer wieder verdeutlicht, daß er einer Person in seiner ganzen Einzigartigkeit, einem In­dividuum gegenüber sitzt. Die­ses Indi­viduum ist, genau wie der Therapeut selbst, zuallererst ein Mensch. Er setzt sich u. a. zu­sammen aus eigenen Gefühlen, eigenen Problemen, eigenen an­gelernten Schablonen und ei­genen Verhal­tensweisen und -mustern. Kann der Therapeut dies verstehen, erle­ben und seinem Gegenüber ak­zeptierend ent­gegenbringen, so wird auch jener ler­nen, sich zu verste­hen, zu akzep­tieren und zu ach­ten.

Der Klient lernt in dieser Beziehung genauso wie der Therapeut, „zwischen seinem Wert als Mensch und der Bewertung seiner Handlungen zu differenzieren.“ (Kirr, J.: Grundkonzepte der Psychotherapie 1989; Seite 205)

Es steht wohl au­ßer Frage, daß sich diese Grundeinstellung der Achtung menschli­chen Lebens und seiner Viel­falt gegenüber nicht erlernen, nicht schematisieren läßt.

Denn diese entgegengebrachte emotionale Wärme – Liebe – ist nur echt und wird als solche empfunden, wenn sie wirklich „von innen“ kommt.

Natürlich entwickelten sich auf der Basis dieser Grundeinstellungen im Laufe der Jah­re immer weitere Interpretations- und Modifikationsansätze, die Rogers selber zu­meist mißbilligte. Auch setzte teilweise heftige Kritik ob dieser Einstellungen ein, die Rogers dann aber pro­duktiv umzusetzen wußte und die letztendlich, geprägt durch die neu­en (theoretischen und praktischen) Lernerfahrun­gen, dazu beitrugen, daß die­ses Thera­piekonzept durch seine stetige, lange Entwicklung und Hinterfra­gung, eines der bester­forschten und über­prüften Konzepte an sich ist.

Denn bereits seit 1949 liegen Forschungsergebnisse vor, die Rogers personenzen­trierten An­satz bestätigen. Rogers selbst konnte ja ebenfalls eine Menge an For­schungsergebnissen vor­legen. Sie beweisen tatsächlich, daß Veränderungen in der Persönlich­keit stattfin­den, wenn gün­stige Voraussetzungen in einer therapeutischen Beziehung ge­geben sind. Da dieses Konzept also eines der wissen­schaftlich bester­forschten, sozi­alpsychologischen „Vorgehenswei­sen“ ist, ist es kaum verwunderlich, daß es auch an­dere Verfahren und Handlungsmethoden wesentlich beeinflusst hat.

Als Beispiele für weitere „Verfahren“ wären hier zu nennen:

  • die personenzentrierte Psychotherapie bei seelisch gestörten Menschen
  • Lernförderung an Schulen
  • das Bildungswesen allgemein
  • Encounter-Gruppen
  • Soziale Arbeit, in ihrem breiten Spektrum an Handlungsmethoden
  • Seelsorge
  • Verbesserung weiterer zwischenmenschlicher Beziehungen, wie z. B. Partner- und Familienthe­rapie

Diese jedoch hier weiter auf­zuzählen und näher zu erläutern, würde den Rahmen sprengen und ist letztendlich auch nicht von besonders großem Inter­esse, was die eigentliche Zielsetzung die­ser Seiten betrifft.

Hier deshalb nun zusammenfassend zum „weltberühmten“ personenzentrierten Ansatz.