Die erste Phase dieser Entwicklung beginnt also dort, wo die letzte Seite endet – in den 40er Jahren.
Man kann diese Phase in Rogers Schaffen als die der Entwicklung der „nichtdirektiven Therapie“ bezeichnen.
Vorwiegend in Chicago (1940 bis 1950) und in Ohio (1940 bis 1945) entwickelt Rogers das Konzept der „nichtdirektiven Beratung“, welche meint, daß sich Patient und Therapeut gemeinsam in eine Situation begeben, welche dem Patienten ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermittelt. – Nicht das Gefühl eines Objekts, welches Behandlung bräuchte. Der Therapeut soll nicht direktiv in das Gespräch eingreifen, sondern eine Atmosphäre schaffen, welche geprägt ist von Wärme, Anteilnahme und Akzeptanz dem Patienten gegenüber.
Auch wird der Begriff des „Patienten“ durch den des „Klienten“ ersetzt, um so eine neutrale Basis der eingegangenen Beziehung zu schaffen. Dem Klienten wird so ermöglicht, zusammen mit seinem Gegenüber, selbstverantwortlich auf die Entdeckungsreise von Defiziten in seiner Wahrnehmung zu gehen Störungen sind also keine Krankheiten, sondern ein Defizit an Bewußtsein und daraus folgend ein Mangel an persönlichem Wachstum, welches aber durch eigene Entscheidungen des Klienten erlangt werden kann.
Dieses nichtdirektive Verhalten des Therapeuten soll aber nicht mit Passivität gleichgesetzt werden, sondern als ein Verhalten, das durch einfühlendes Verstehen zu einer Reflexion – einer Rückspiegelung – der Gefühle des Klienten führt.
Als die „gefühlsverbalisierende Phase“ bezeichnet man die Zeit von 1950 bis Mitte der 60er Jahre. Hierbei steht die gemeinsame Erforschung der Gefühlswelt des Klienten im Mittelpunkt.
Die klientenzentrierte Gesprächsführung ermöglicht also dem Klienten durch eigenständige Selbstexploration, welche ebenfalls durch die nichtdirektive Grundhaltung des Therapeuten / des Gegenübers gefördert wird, zu einer höheren Selbstwahrnehmung und Reflexion seiner Gefühlswelt zu gelangen.
Die Interventionsmöglichkeiten des Therapeuten werden hier noch mehr zurückgenommen. Statt dessen dient der Therapeut dem Klienten „lediglich“ dazu, dessen Gefühle zu verbalisieren – nicht kognitiv umzusetzen, was ja zu einer Verschiebung des Gleichgewichts in der Beziehung führen würde, wobei sich der Klient sogleich wieder als krank und nicht verstanden fühlen könnte.
Denn das kognitive Umsetzen der Gefühle seitens des Therapeuten muss nicht mit der Gefühlswelt des Klienten übereinstimmen. Werthaltungen und Wahrnehmungen sind individuell, sind also Schlüssel zu einem „Selbstkonzept“ des Individuums. Das „Selbstkonzept“ ist ebenfalls der Schlüsselbegriff in Rogers Persönlichkeitstheorie, die er ebenfalls in dieser Zeit entwickelt.
In dieser Zeit definiert er auch die therapeutischen Grundeinstellungen und Grundhaltungen, die seiner Meinung nach notwendig und unerläßlich für eine zwischenmenschliche Beziehung in der Therapie sind.
Diese drei tragenden Elemente in der Therapie sind:
- Kongruenz
- Empathie
- Wertschätzung und bedingungsfreies Akzeptieren
In den 60er Jahren legt Rogers den Schwerpunkt immer mehr darauf, den Kontakt zwischen Therapeut und Klient an sich – also als eine echte, zwischenmenschliche Beziehung, in der auch der „Therapeut“ als Mensch Gefühle zeigen darf – zu intensivieren.
Diese „Phase der Erlebniszentrierung“ bezieht sich nun hauptsächlich darauf, dem aktuellen Erleben in der Beziehung größere Bedeutung beizumessen.
Auch wenn die in den ersten zwei Phasen entwickelten Grundhaltungen beibehalten werden, geht es nun darum, daß der Klient „zu sich selbst – d. h. zu seinem Erlebnisrahmen, zu der Form und Art seiner Wahrnehmungen, Gefühle, Haltungen und Reaktionen“ (Kriz, J.: Grundkonzepte der Psychotherapie 1989; Seite 199 )(auch dem „Therapeuten“ gegenüber) – intensiven Kontakt behält und diesen auch verbalisiert.
„Es ist ein tranceartiges Sich-Fühlen in der Beziehung, aus dem sowohl der Klient wie ich am Ende der Stunde wie aus einem tiefen Brunnen oder Tunnel auftauchen. In diesem Augenblick existiert, … , eine wirkliche Ich-Du-Beziehung, ein zeitloses Leben in der Erfahrung zwischen dem Klienten und mir.“ (Roger, C.: Entwicklung der Persönlichkeit 1976; Seite 200)
Dieses Erleben in dieser Beziehung, jene produktive Atmosphäre einer Begegnung zweier Personen, steht also im Mittelpunkt – sie ist personenzentriert.
Denn „nach meiner Erfahrung geschieht Außerordentliches, wenn ein von Glaubwürdigkeit, Achtung und Verstehen geprägtes Klima geschaffen wird. In einem solchen Klima wird Starrheit zu Beweglichkeit, statisches Beharren zu Entwicklung, Abhängigkeit zu Autonomie, Vorhersagbarkeit zu spontaner Kreativität, Abwehrhaltung zu Selbstannahme und Selbstverwirklichung. Aufgrund dieser meiner Erfahrungen glaube ich, daß Liebe eine Umgebung schaffen kann, in der Menschen, Gruppen und sogar Pflanzen sich entfalten können.“ (Rogers, C. / Rosenberg, R.: Die Person als Mittelpunkt der Wirklichkeit 1980; Seite 197)
Hier merkt man auch erstmals, daß es Rogers nicht mehr allein um eine Form der Beziehung in einer Therapie gehen kann. Vielmehr geht es ihm mittlerweile um eine hilfreiche Begegnung von Menschen im Allgemeinen – einer Philosophie der interpersonellen Beziehungen. Er ist also im Laufe der Jahre von einem Konzept der Therapieführung, hin zu einer Lebens- und Beziehungsphilosophie gelangt.
Dies erkennt man unter Anderem auch daran, daß er in diesem steten Prozeß der Entwicklung seines Konzeptes von der Begrifflichkeit des „Patienten“, über den des „Klienten“, letztendlich zu der sich helfenden „Person“ übergeht.
Genauso geschieht es mit den Begriffen für sein Konzept an sich: Von „nichtdirektiv“, über „klientenzentriert“, hin zu „personenzentriert“.
Es liegt somit auf der Hand, daß er in den letzten Jahren, bis hin zu seinem Tod, seinen personenzentrierten Ansatz immer mehr zu einem Konzept eines personenzentrierten Gesellschaftsmodells (Rogers, C. / Rosenberg, R.: Die Person als Mittelpunkt der Wirklichkeit 1980
und Rogers, C.: Der neue Mensch 1981 ) ausweitet.
1987 schließlich, stirbt Rogers im Alter von 85 Jahren in New York.